Temporäre Fußgängerzone
Wenn Zahlen eine eindeutige Sprache sprechen
Im der jüngsten Gemeinderatssitzung wurde erneut über die Temporäre Fußgängerzone diskutiert, die von Ostern bis zum Kulturwochenende 2024 eingerichtet werden soll. Ein CDU-Antrag auf Aufhebung des Beschlusses von 2022 wurde mehrheitlich abgelehnt und Bedenken hinsichtlich möglicher Risiken im Rettungswesen mit einem fundierten Gutachten weitestgehend widerlegt.
Seit fünf Jahren habe es kein Thema mehr gegeben, das so sehr von allen Seiten beleuchtet worden sei, eröffnete Sozial- & Baubürgermeister Jörg Steuler den Tagesordnungspunkt zur Temporären Fußgängerzone im jüngsten Bau- und Sozialausschuss. Und auch dieses Mal wurde zwei Stunden lang ausführlich beraten und diskutiert – vor allem über einen Antrag der CDU-Fraktion, die aufgrund verschiedener Bedenken den Beschluss vom Oktober 2022 aufheben und den Verkehrsversuch im kommenden Jahr nicht durchführen wollte. Gleich vorneweg: Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, das heißt, in der Karl- und Wilhelmstraße wird zwischen Ostern und dem Kulturwochenende 2024 eine Temporäre Fußgängerzone eingerichtet.
„Ich stehe voll hinter dem Versuch und wir sollten die Kirche im Dorf lassen: Es ist genau das, ein Versuch“, sagte Steuler vorneweg und Stefanie Dowy vom Ressort Bauen & Verkehr sowie Daniel Czybulka aus dem Ressort Stadtentwicklung erläuterten die Fortschritte des Konzeptes, das dem Gremium zuletzt im März vorgestellt worden war. „Sie haben uns im Oktober 2022 ein Jahr mehr Zeit für die Planung gegeben und die haben wir gut genutzt für ein umfassendes Konzept mit Bestandsanalyse, Zielen und Maßnahmen, einer Wirksamkeitsuntersuchung inklusive Risikomanagement und möglichen Schlussfolgerungen“, so Dowy. Vor allem die Maßnahmenpläne hinsichtlich Verkehr konnten weiter ausgearbeitet werden und stießen bei den Stadträtinnen und Stadträten auf großes Interesse. „Wir hatten und planen auch noch weitere Verkehrszählungen, haben mögliche Ausweichrouten im Blick und vor allem auch das Risikomanagement mit den Rettungsdiensten“, erläuterte Czybulka und ging damit gleich auf einen wichtigen Punkt ein, den Stephanie Schmidt-Weiss in ihrem Antrag für die CDU immer wieder aufführte: Die hundertprozentige Sicherstellung, dass die Notfahrzeuge von Feuerwehr, Klinikum und DRK durch die Temporäre Fußgängerzone keine Verzögerung bei den Rettungseinsätzen haben.
Hilfsfristen können eingehalten werden
Im Bau- und Sozialausschuss stellte die Geschäftsführerin der Firma BeraSys, Ursula Völker-Stahl, ihr Gutachten zu den Auswirkungen auf Rettungsdienst und Klinikum vor und betonte, dass die Hilfsfristen auch während einer Temporären Fußgängerzone eingehalten werden können. Völker-Stahls Expertise war von den Rettungsdiensten und dem Klinikum der Verwaltung empfohlen worden, nachdem sie bereits seit Jahren die Auslastungen im Krankentransportwesen für den Landkreis analysiert. „Ich habe viel Erfahrung in der Untersuchung von Rettungsdiensten und -zeiten und bin nach der Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass die Eintreffzeit bei Notfällen auch während einer solchen Temporären Fußgängerzone gesichert wäre“, sagte Völker-Stahl. Lediglich die Transportdauer ohne Blaulicht ins Krankenhaus könne sich etwas verlängern, wodurch die Verfügbarkeit insgesamt geringfügig verringert sein könnte – „da brauchen wir dann eine monatliche Auswertung der Leitstelle. Ich gehe von drei bis fünf Minuten Verlängerung im Durchschnitt pro Transport aus, das aber lässt keine extremen Auswirkungen erwarten. Wenn überhaupt, wäre maximal ein neuer Rettungswagen nach einer gewissen Zeit denkbar, der aber vermutlich aufgrund dauerhaft steigender Einsatzzahlen sowieso irgendwann benötigt werden würde. Hier jedoch muss die Notwendigkeit dargestellt werden, was vermutlich schwierig wird“, so Völker-Stahl. Entscheidend sei, dass die Einsatzfahrzeuge im Notfall schnell beim Patienten sind, was auch beim Verkehrsversuch der Fall wäre. "Denn erst, wenn der Gesundheitszustand des Patienten soweit stabilisiert ist, findet der Transport ins Krankenhaus statt", so Völker-Stahl.
„Der Verkehrsversuch muss kommen, da dürfen wir uns auch nicht von einzelnen Stellungnahmen in den Sozialen Medien leiten lassen. Wir haben ja gerade gehört, dass die Einsatzzeiten nicht tangiert wären und die Rettungskräfte einsatzfähig bleiben. Und, so hat die Stadtverwaltung zugesichert, im Falle des Falles kann der Versuch jederzeit angepasst oder abgebrochen werden“, sagte Dennis Arendt als SPD-Fraktionsvorsitzender. Ein Verkehrschaos gebe es wenn überhaupt nur zu den Spitzenzeiten, und das Monitoring der Einsatzwachen sei sinnvoll und könne schnell zeigen, ob und wo noch Handlungsbedarf besteht. „Gegebenenfalls wäre ja auch eine Ertüchtigung der Trutenbachallee denkbar?“, fragte er und Czybulka bestätigte, dass dies dort für die Einsatzfahrzeuge bereits vorgesehen sei. Auch der Mittlere Weg sei dahingehend geprüft und bei Bedarf könnten Halteverbotsschilder aufgestellt werden, meinte Steuler. Ebenso sei vorgesehen, dass die Einsatzfahrzeuge von Rettungsdienst, Polizei und Feuerwehr jederzeit durch die Temporäre Fußgängerzone - übrigens genauso wie auch der ÖPNV - fahren dürfen.
Mehr Zeit, mehr Planung
„Großes Kompliment an die Beteiligten. Wir haben voriges Jahr die Verschiebung des Versuchs beantragt und nun wurde vieles ins Konzept eingearbeitet. Wir werden dem CDU-Antrag jedenfalls nicht zustimmen, denn wir sind alle gemeinsam dran an dem Projekt. Wir sollten der Verwaltung Vertrauen schenken und eine konstruktive Haltung einnehmen“, meinte Sebastian Klunker als AWV-Fraktionsvorsitzender und Wolfgang Lehnert, CDU-Fraktionsvorsitzender, pflichtete ihm bei, dass dank der Verschiebung einiges getan wurde und eine tiefergehende Planung entstehen konnte. Auch GRÜNEN-Fraktionsvorsitzender Sebastian Karg sagte, seine Fraktion unterstütze den Verkehrsversuch weiterhin. „Es war wichtig, das Risikomanagement und die Simulation des Rettungsverkehrs durchzuführen. Klar ist auch, dass wir sofort gegensteuern und abbrechen können“, sagte er und zeigte sich auch mit den geplanten Maßnahmen sowie der Beteiligung der Öffentlichkeit einverstanden. „Wir werden aber den Antrag stellen, dass auch die Gäste des Hotels Post Faber nicht durchfahren dürfen. Wir sehen nicht, warum es hier eine Ausnahme geben sollte“, so Karg.
CDU-Antrag: Kein Verkehrsversuch
CDU-Stadträtin Schmidt-Weiss betonte, sie habe Gespräche mit allen Verantwortlichen von Klinikum und Rettungsdienst geführt und sei dabei durchaus auf Probleme aufmerksam gemacht worden, die durch die Temporäre Fußgängerzone entstehen könnten. „Das Problem ist die Verringerung der Verfügbarkeit. Der Rettungsdienst kommt später zurück vom Einsatzort, dadurch fehlen die Einsatzwagen. Und es gibt ja jetzt schon Probleme, zum Klinikum zu kommen. Deshalb lautet unser Antrag, den Beschluss von 2022 aufzuheben und den Verkehrsversuch nicht durchzuführen“, sagte Schmidt-Weiss. Jörg Wüstner (AWV) entgegnete, dass Ursula Völker-Stahl in ihrer Analyse deutlich gemacht habe, dass nicht mit Problemen zu rechnen sei: „Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache, anders als die gefühlte Einschätzung.“ Er hakte noch nach, ob die Analyse für den Rettungsdienst auch auf die Feuerwehr anwendbar sei, und Völker-Stahl meinte: „Ja, denn hier entscheidet sowieso die Leitstelle, welches Fahrzeug wo eingesetzt wird und am schnellsten vor Ort ist. Da wird dann auch schon mal umdisponiert. Bei der Feuerwehr ist eher das Thema, dass die Kameraden zur Wache anfahren müssen.“ Wenn man große Bedenken habe, heiße das, dass man es nicht wisse, meinte Sebastian Klunker (AWV), und betonte, er sehe keinen Grund für den CDU-Antrag. „Vorsichtig sein ist gut, Risiken einzuplanen auch, aber wir sollten nicht den Verkehrsversuch abbrechen auf Basis von Annahmen“, so Klunker. Tom Hanselmann (CDU) betonte, es gebe für ihn noch viele offene Fragen: „Wie soll der Gemeinderat am Ende beispielweise objektiv über das Ergebnis des Verkehrsversuches entscheiden? Und wann fällt eine Entscheidung, ob abgebrochen werden muss?“, fragte er. Steuler erklärte, dass es während des Versuchs eine große Menge an empirschen Daten mit Parametern wie Umsatzzahlen, Einsatzzeiten, Verkehrszahlen, Fußgängerfrequenzen und Meinungsumfragen geben werde, welche die Verwaltung in Summe in ihren Beschlussvorschlag einfließen lassen wird – „daraufhin kann der Gemeinderat dann über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.“ Einen Abbruch könnte es dann geben, wenn es zu Problemen mit den Rettungsdiensten kommen sollte, das müsse dann noch genauer dargelegt werden. Peter Gansky (BLC) sprach sich für die Temporäre Fußgängerzone aus: Es sei nur ein Versuch, außerdem werde der Erfolg oder Misserfolg hinterher mittels eines Kriterienkataloges gemessen, und auch die Einschätzung von Völker-Stahl hinsichtlich der Rettungszeiten bewerte er als positiv.
Bedenken bei Sicherheit und Umsatz
Die Sorge um die Sicherheit der Kinder bei fahrenden Bussen in der Fußgängerzone und auch die Sorge möglicher Umsatzeinbußen brachten einige Vertreter der CDU ein. „Wir haben dann eine Fußgängerzone mit Spielgeräten, aber täglich hunderte Busse, wie passt das zusammen?“, fragte Uwe Berger. Jedem sei doch klar, dass dort Busse fahren würden, außerdem hätten die Eltern auch die Aufsichtspflicht, meinte Jennifer Reu (AWV) daraufhin und befand, man müsse dann eben die 20er-Zone streng überwachen. „Den Versuch halte ich für wichtig. Ohne den Versuch werden wir immer einen Stillstand haben“, sagte sie.
„Ich möchte den Engpass bei den Rettungsfahrzeugen nicht verantworten. Außerdem bin ich Vertreterin der Bürgerinnen und Bürger, die mir klar kommuniziert haben, dass sie den Verkehrsversuch nicht gut finden. Mir haben die Einzelhändler, mit denen ich gesprochen habe, mitgeteilt, dass 80 Prozent der Kunden die Fußgängerzone nicht wollen“, meinte Schmidt-Weiss, doch Steuler entgegnete, man habe allen Händlern Gespräche angeboten. Leider seien viele nicht darauf eingegangen, aber bei denjenigen, die sich beteiligt hätten, sei das Stimmungsbild eher positiv gewesen. „Bei der Bürgerbeteiligung war es doch auch so, dass sich ein Prozent der Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben und 99 Prozent dann am 9. Juni 2024 entscheiden, was sie vom Verkehrsversuch halten“, meinte Uwe Berger (CDU) mit Blick auf die anstehende Kommunalwahl. „Da hätten sich auch 30.000 Menschen beteiligen können, jeder hatte die Möglichkeit, sich auch negativ zu äußern“, entgegnete Sebastian Karg (GRÜNE). Klara Klunker sprach für den Jugendgemeinderat und begrüßte die Temporäre Fußgängerzone: „Ich kann alle Bedenken verstehen, aber es ist nur ein Versuch. Wenn man nichts versucht, hat man am Ende auch kein Ergebnis.“
Letztlich wurde der GRÜNEN-Antrag, den Gästen des Hotels Post Faber die Zufahrt nicht zu ermöglichen, im Gemeinderat mehrheitlich abgelehnt. Auch der CDU-Antrag auf Abbruch des Projekts fand keine Mehrheit und wurde mit den Stimmen aus allen Fraktionen deutlich abgelehnt. Nun können die Planungen fortgeführt werden, mit denen die Innenstadtentwicklung durch eine verbesserte Aufenthaltsqualität unterstützt werden sowie die Bedingungen für ÖPNV, Rad- und Fußverkehr verbessert werden sollen. Alle Informationen zur geplanten Temporären Fußgängerzone finden sich auf www.crailsheim.de/innenstadtentwicklung.