Stadtfeiertag
Von Handwerkszünften und Kreisreform
Die Geschichte des Handwerks in Crailsheim und die Kreisreform 1973 sowie deren Auswirkungen auf den damaligen Landkreis Crailsheim standen am Sonntagabend im Hangar im Mittelpunkt. Rund 300 Gäste tauchten am Heimatgeschichtlichen Abend im Rahmen des Stadtfeiertags in Crailsheims Geschichte ein.
Der Heimatgeschichtliche Abend ist eine liebgewonnene Tradition für viele Crailsheimerinnen und Crailsheimer. Bietet er doch die Möglichkeit, in zwei Vorträgen oftmals wenig bekannte und damit umso spannendere Einblicke in die ferne und nicht ganz weit zurückliegende Geschichte der Horaffenstadt zu erhalten – und das auch in diesem Jahr mit einem hohen Unterhaltungswert.
Blick ins 15. Jahrhundert
So gehörte nach einem Grußwort durch Crailsheims Oberbürgermeister Dr. Christoph Grimmer und einem musikalischen Auftakt durch die Gruppe „Echt hand´gmacht“ die Bühne zunächst ganz dem Crailsheimer Handwerk. Dr. Helga Steiger, Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin im Stadtarchiv, schlug dabei einen Bogen quer durch die Jahrhunderte. Wo die Handwerkskammer Heilbronn-Franken heute rund 130 Ausbildungsberufe im Handwerk auflistet, reichen die ältesten Dokumente, die Helga Steiger für ihren Vortrag zu Rate zog, bis ins 15. Jahrhundert zurück. Steiger listete den damaligen Bestand auf: neben drei Mühlen gab es acht Schlachthäuser sowie „acht Brotbecken und fünf Gewandschneider, vier Gerber, sowie 20 Schuster“.
Zünfte
Schon früh schlossen sich auch in Crailsheim die Zünfte zusammen. So gründete das Metallhandwerk, dem unter anderem Schlosser, Büchsen-, Uhr- und Windenmacher, Wagner, Gürtler und Spengler angehörten, bereits 1472 eine Elogiusbruderschaft in Crailsheim. Benannt wurde diese nach dem Heilige Eligius. Nach und nach schlossen sich auch die weiteren Zünfte zusammen und geben sich oftmals umfassende Regelwerke. So finden sich im Crailsheimer Stadtarchiv Ordnungen für Glaser, Hafner, Leinweber, Maurer, Zimmerer, Metzger, Müller, Kürschner, Rot- und Weißgerber und Schuster.
Zu leichte Brötchen
So war geregelt, dass ein Lehrling nur mit Wissen zweier weiterer Meister aufgenommen werden durfte. Zudem musste dieser ehelich gebohren worden sein und für seine Ausbildung ein Lehrpfand in Höhe von zehn Gulden hinterlegen. Helga Steiger zeigte aber auch auf, das bei Zuwiderhandlung gegen die Zunftordnungen Strafen verhängt wurden. So wurde 1766 der Bäcker Hoepf wegen zu leicht gebackenem Brot zu 30 Gulden Strafe verurteilt, all dies natürlich detailliert festgehalten für die Nachwelt.
Zinnwaren und Fayencen
Mit der Stadt wuchs im Laufe der Jahrhunderte auch die Anzahl der Handwerksbetriebe. Der Stadtplan von Johann Christoph Horland aus dem Jahr 1738 benenne 350 Gebäude in Crailsheim, das zum damaligen Zeitpunkt rund 2.500 Einwohner hatte, wie Dr. Steiger erläuterte. Allein im Bereich der Lebensmittelherstellung waren demnach 21 Metzger, zwei Fischer, 18 Bäcker, drei Lebkücher, zwei Bierbrauer und ein Branntweinbrenner verzeichnet. Eine gewisse Berühmtheit erlangten im 17. und 18. Jahrhundert Zinnwaren aus Crailsheim. Weit bekannter ist aber ein weiterer Handwerkszweig, auf den Helga Steiger einging: Die Crailsheimer Fayencen Manufakturen stellten zugleich den Schritt zur vorindustriellen Fertigung dar. 1820 wurde die letzte Fayencen-Fabrik in Crailsheim geschlossen, echtes Porzellan hatte diesen den Rang abgelaufen.
Organisiertes Gewerbe
Bereits 1840 wurde ein Handels- und Gewerbeverein in Crailsheim „zur Beförderung der Gewerbe in Verbindung mit geselliger Unterhaltung“ gegründet, wie Helga Steiger zitierte. Nach einer Novellierung der Reichsgewerbeordnung wurden auch in Crailsheim Innungen ins Leben gerufen. Mit der Einführung der dualen Ausbildung im Handwerk wurde auch die Stadt Crailsheim in die Pflicht genommen. Die Gewerbeschule, in der sich heute das Jugendzentrum befindet, wurde gegründet und wies, wie Helga Steiger herausfand, 1928 über 500 Schüler auf.
Handwerk und Handel
Auch wenn die zunehmende Industrialisierung in Crailsheim zunächst wenig zu spüren gewesen sei, habe das Handwerk doch einen Wandel durchgemacht. „Nicht zuletzt“, so Helga Steiger, „weil aus Handwerkern nach und nach Händler wurden“. Das klassische handgefertigte Produkt wurde mehr und mehr durch industriell gefertigte Handelsware ergänzt. „Diese Transformation von Traditionen in Crailsheim ist spannend und beispielhaft für das Anpassen an den gesellschaftlichen Wandel“ ordnete Steiger die Entwicklung ein. Kamen ab der Mitte des 20. Jahrhunderts bis zu 15 Bewerber auf einen Ausbildungsplatz im Handwerk, haben sich die Zeiten weiter gewandelt, wie Helga Steiger betonte. Heute sind über 450 Handwerksbetriebe in Crailsheim gemeldet. „Darin enthalten sind zulassungspflichtige, die einen Meisterbrief erfordern, und zulassungsfreie. Das sind häufig Ein-Mann- oder Nebenerwerbsbetriebe“, ordnete die Kunsthistorikerin die Zahlen ein. „Ich hoffe, dass deutlich wurde: Handwerk hat viele Aspekte, die über das eigentliche produktive Tun hinausgehen“ schloss Helga Steiger ihren rund einstündigen Ritt durch die Jahrhunderte und die Geschichte des Handwerks in Crailsheim unter dem Applaus der Zuschauer.
Kreisreform als Krimi
Stadtarchivar Folker Förtsch nahm die Besucher nach einem erneut auch inhaltlich passend ausgewählten Musikintermezzo von „Echt handg´macht“ mit auf einen wahren Politikkrimi, der nichts an seiner Spannung einbüßte, auch wenn der Ausgang bereits bekannt war. Die Kreisreform und die damit verbundene Auflösung des Landkreis Crailsheim standen im Zentrum von Förtschs Vortrag. Endete doch damit eine mehr als 600 Jahre währende Zeit, in der Horaffenstadt immer Amtsstadt, Oberamtsstadt oder zuletzt Kreisstadt war. Der Verlust und die Rückkehr des CR-Kennzeichens, war einer der Aspekte, die unmittelbar mit der Kreisreform zusammenhängen und von Förtsch dargestellt wurde.
Verlust an Identität
„Die Eingliederung Crailsheims in den vergrößerten Landkreis Schwäbisch Hall war für viele Crailsheimerinnen und Crailsheimer gleichbedeutend mit einem massiven Verlust an Selbstbestimmung und Identität“, fasste Förtsch die Gemütslage vieler Crailsheimer im Jahr 1973 zusammen. Bereits ab 1969 waren Überlegungen in der damaligen großen Koalition aus CDU und SPD im Landtag angestellt worden, die Anzahl der 63 Landkreise deutlich zu reduzieren. Der größte Landkreis Ludwigsburg zählte, so Förtsch, damals rund 300.000 Einwohner. Künzelsau, der kleinste Landkreis 34.000 Einwohner. Dieses Ungleichgewicht war laut Förtsch einer der Antriebe für eine Landkreisreform. CDU-Ministerpräsident Hans Filbinger und SPD-Innenminister Walter Krause hatten die Reformen als Ziel ausgegeben.
90.000 Einwohner als Grenze
Ein Denkmodell der Landesregierung, das 1969 vorschlug aus den Mittelbereichen Schwäbisch Hall, Crailsheim, Öhringen, Künzelsau und Gaildorf einen großen Landkreis mit Sitz der Verwaltung in Schwäbisch Hall zu formen, „schlug ein wie eine Bombe“. Dieses „Denkmodell“ war Auftakt zu verschiedensten Varianten der Gebietsaufteilung, die intensiv diskutiert wurden. Darunter unter anderem der Versuch Kommunen aus den Nachbarlandkreisen dem Landkreis Crailsheim, der damals rund 63.000 Einwohner hatte, zuzuschlagen, um über die magische Grenze von 90.000 Einwohnern zu kommen. Diese wurde in der Diskussion landesweit als maßgeblich aufgenommen und entstand auf Basis eines Fachgutachtens, das die 90.000 Einwohner als Mindestgröße für einen Landkreis festgelegt hatte.
Unterschiedliche Ansichten
Folker Förtsch zeigte auf, dass keiner der Landkreise zur Fusion mit Schwäbisch Hall bereit war. Landrat Dr. Werner Ansel und die weiteren Organe im Landkreis Crailsheim, lehnten einen Zusammenschluss mit Nachdruck ab. Damit, so Förtsch, standen sie durchaus im Widerspruch zu Crailsheims Bürgermeister Zundel, der einem großen Landkreis offen gegenüberstand – unter der Voraussetzung, dass die Landkreisverwaltung in der Horaffenstadt angesiedelt werde.
Crailsheimer Widerstand
In Crailsheim formierte sich schnell Widerstand gegen die Überlegungen und die Eingliederung des Landkreis Crailsheim in eine größere Einheit. In einer Volksabstimmung gingen rund 76 Prozent der Wahlberechtigten im Landkreis an die Wahlurnen und stimmten zu 98 Prozent für den Erhalt des Landkreises Crailsheim, wie Folker Förtsch darlegte. Geholfen hatte dieses Votum letztlich nicht. Lothar Spät von der CDU brachte schließlich den Vorschlag in die Diskussion ein, aus Öhringen und Künzelsau und Schwäbisch Hall und Crailsheim jeweils einen neuen Landkreis zu formen. Auch wenn dieser Vorschlag, wie Folker Förtsch eindrucksvoll darstellte, nun weder in Schwäbisch Hall noch Crailsheim auf Gegenliebe stieß, fiel die Entscheidung im Juni 1971 im eigens eingerichten "Sonderausschuss Verwaltungsreform" der Landesregierung.
Unabwendbare Entwicklung
Man könne sich im Nachhinein die Frage stellen, so Förtsch, ob bei einem anderen Agieren ein anderes Ergebnis und der Erhalt des Landkreis Crailsheim möglich gewesen wären. Crailsheims Stadtarchivar gab im Hangar auch gleich die Antwort auf diese Frage: „Wenn man die Prozesse und Verhandlungen Revue passieren lässt, die zur Kreisreform von 1973 führten, muss man feststellen, dass es eine realistische und das heißt vor allem mehrheitsfähige Chance für die Erhaltung eines eigenständigen Landkreises CR wie auch für den Kreissitz im neuen Landkreis SHA-Crailsheim wohl nicht gegeben hat“.
Blick voraus richten
Förtsch zeigte zum Abschluss seines Vortrags auf, dass die Befürchtungen, die mit einer Fusion der Landkreise verbunden wurden, sich nicht bewahrheitet hätten. Weder sei es zum Rückgang der Bevölkerung noch zu einem Verlust an Wirtschaftskraft gekommen. Gleichzeitig rief Förtsch dazu auf, sich nicht hinter dem Verlust des Landkreises zu verstecken: „Die Zukunftsaufgaben Bildung, Wirtschaft, Demografie, Ökologie und Kultur stellen sich der hiesigen Kommunalpolitik und der politisch bewussten Bürgerschaft Crailsheims. Sich hinter dem Verlust des Kreissitzes vor 50 Jahren zu verstecken, gilt nicht.“