Klärwerk-Reportage

Wo die Geschäfte der Stadt geklärt werden

Das Belebungsbecken ist die biologische Stufe: Hier übernehmen die Bakterien die Arbeit.

In unserer Serie "Hinter den Kulissen - so funktioniert Stadt" werden regelmäßig Bereiche der Verwaltung vorgestellt, die das Leben und die Bürgerinnen und Bürger in der Stadt direkt oder indirekt betreffen. Heute geht es um Wasser – Abwasser, genauer gesagt. Das Crailsheimer Klärwerk im Norden der Stadt ist nicht nur für die rund 36.000 Einwohner, sondern auch für die Industriebetriebe zuständig.

Wer beim Wort Klärwerk an Abwasser und stinkende Kanäle denkt, wird in Crailsheim enttäuscht. Es riecht. Aber lange nicht so stark, wie erwartet. Die frische Luft, das großzügige Gelände, Vogelgezwitscher und ab und an ein lautes Rumpeln vom benachbarten Steinbruch: Eigentlich ganz idyllisch hier draußen.
Anders sieht es beim Eintauchen aus. Nicht wortwörtlich gemeint – eher ein gedankliches Eintauchen in den Weg, den das Wasser hier im Crailsheimer Klärwerk nimmt. Der Start ist unspektakulär: Ein unscheinbarer Kanal, in den durch ein Rohr mit zwei Metern Durchmesser das Abwasser der Crailsheimer Bürgerinnen und Bürger und der ansässigen Industrie läuft. Heute – ein bewölkter Tag im Mai – plätschert das trübe Wasser gemächlich vor sich hin. „An trockenen Tagen wie heute fließen etwa 20.000 Kubikmeter Wasser bei uns durch die Anlage, das sind etwa 230 Liter pro Sekunde. Wenn es regnet, können es schon mal 700 Liter in der Sekunde sein“, erklärt Joachim Kett, Leiter des Klärwerks. Über einen Schieber lässt sich die ankommende Abwassermenge regeln, und alles, was über eine gewisse Menge hinausgeht, läuft ins Regenüberlaufbecken. „Wenn das auch voll ist, geht’s in die Jagst. Das ist allerdings nicht so schlimm, da es dann schon sehr stark verdünnt ist“, sagt Kett und läuft am Geländer des schmalen Kanals entlang.

Erst mal mechanisch
Dieser führt in Richtung eines kleinen Gebäudes, in dem sich der sogenannte Harken-Umlaufrechen befindet. „Dieser Rechen, oder besser gesagt, das erste Drittel des Weges, den das Wasser im Klärwerk nimmt, ist eigentlich überall gleich. Am Anfang stehen in jeder Anlage immer mechanische Verfahren, um Grobstoffe zurückzuhalten“, sagt Kett und lässt den Umlaufrechen nach oben fahren. Alle Teile, die größer als sechs Millimeter sind, gelangen dadurch in eine Waschpresse und landen als entwässertes Rechengut in einem großen Container. 70 bis 80 Tonnen werden dabei pro Jahr herausgefischt. „Wir haben schon die wildesten Dinge hier gefunden. Geld, Fahrradlenker, eine Babypuppe oder Gebisse – und teilweise rufen die Bürgerinnen und Bürger sogar an, ob wir etwas gefunden hätten.“ Joachim Kett lacht. Er ist gerne hier draußen. Irgendwie abgeschottet, irgendwie unter sich sind sie, die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klärwerks. Und doch in ständigem Kontakt zu den Bürgern. Auch wenn die Abwasseraufbereitung nicht gerade prickelnd klingt: Langweilig wird es ihm hier nicht, stecken doch hochkomplexe biologische und chemische Vorgänge hinter den verschiedenen Verfahrensschritten. Eine Mischung aus Chemie, Bio, Physik und Elektrik.

Joachim Kett, Betriebsleiter des Klärwerks, erläutert die Vorgänge im Belebungsbecken.

Sand, Steine und Fette
Ortswechsel. Sauber ist das Wasser, welches den Umlaufrechen passiert hat, noch lange nicht. Braun-grau, ja geradezu trüb enthält es immer noch verschiedene gelöste Stoffe, Sand, Schwimm- und Schwebstoffe. Der Kanal führt nun unter einem mannshohen Gerät hindurch – eine Art Trichter auf einem fahrbaren Zahnrad, mit einem Rohr, das zu einem Abladeplatz auf der Seite hin wegführt. „Im Langsandfang wird der Sand abgeschieden. Das Wasser fließt hier langsamer, so dass sich der Sand absetzen kann und nicht weitertransportiert wird“, erklärt Kett. Auch kleinste Steinchen oder Glassplitter werden dabei abgefangen – etwa 100 Tonnen im Jahr. Die Sandreste werden anschließend gewaschen und im Straßenbau wiederverwendet. Die Kubatur wird nach dem Sandfang gemessen: Bis zu acht Millionen Kubikmeter laufen hier in einem Jahr durch.

Joachim Kett läuft ein paar Schritte weiter, einen schmalen Weg entlang und über die grüne Wiese hinunter zu den länglichen Vorklärbecken, in denen das Wasser erst einmal eine kleine Verschnaufpause einlegen kann. Es ist die erste Station, die so richtig nach Klärwerk aussieht: Trübes Wasser, durch das sich ganz gemächlich große Schilder bewegen und den Schlamm von hinten nach vorne schieben. Dort bildet sich ein Teppich aus weißem Schaum, durchsetzt mit Luftblasen – „das ist der Schlammtrichter, da geht es acht Meter runter. Hier setzen sich Fette, Öle und Schwebstoffe ab, und der Schlamm kommt von hier aus in die Faultürme“, sagt Kett und deutet auf die hohen Türme, die direkt hinter den Becken stehen. Ein kurzer Zeitsprung, rund 70 Jahre in die Vergangenheit. Damals nämlich war nach diesem Becken bereits Endstation: „So gereinigt, floss das Wasser dann schon wieder zurück ins Gewässer“, sagt Kett und lacht: „Heute kommen noch ein paar Schritte mehr dazu.“

Im Umlaufrechen werden größere Teile aus dem Abwasser gefiltert.

Jetzt kommen Bakterien ins Spiel
Wohin diese führen? Erst einmal weg vom mechanischen, hin zum biologischen Verfahren. Während Kett einen schmalen Weg nach hinten geht, wird das Wasser quasi parallel dazu unterirdisch hochgepumpt und landet im Belebungsbecken. Der Abwassermeister lässt seinen Blick darüber schweifen und dreht sich um. „Eigentlich ist es relativ simpel. Die Natur dient dabei als Vorbild: Durch Bakterien und Mikroorganismen im Schlamm werden gelöste Stoffe wie Kohlenstoffverbindungen, Phosphate und Ammoniumstickstoff abgebaut und verstoffwechselt – so, wie es auch in jedem Fluss oder See passiert“, sagt Kett. Mit dem Klärwerk schaffe man lediglich den Raum, um das Wasser zu reinigen. Und die Luftblasen, der Schaum an der Oberfläche? Die entstehen durch Keramikbelüfter und Plattenbelüfter am Beckenboden, die in vier Meter Tiefe einiges an Sauerstoff einblasen – mit Sauerstoff und Nahrung versorgt, vermehren sich die Bakterien rasend schnell. Zusätzlich zur Arbeit der Bakterien werden sogenannte Fällmittel hinzugefügt, um die biologische Phosphatentfernung zu unterstützen. „Erst voriges Jahr haben wir eine neue Phosphatfällungsanlage bekommen. Alles, was wir früher von Hand messen und kontrollieren mussten, funktioniert jetzt online – so haben wir immer die optimale Dosierung“, erklärt der Leiter des Klärwerkes. Eine echte Erleichterung, denn der Weg, den das Wasser hier geht, endet nicht zur Feierabendzeit. „Es ist ein 24/7-Prozess“, so Kett.

Ab nach unten
Der Gang über das rund vier Hektar große Gelände führt von Station zu Station, von einem Becken zum nächsten, und mit jedem Schritt wird das Wasser etwas sauberer. Den Weg, den Kett da geht, geht er jeden Tag. „Den Kontrollgang mache ich mindestens ein-, wenn nicht zweimal“, sagt er und schließt die Türe eines kleinen Häuschens auf. Über eine Treppe läuft er hinunter in einen engen, langen Gang, durchzogen von Rohren und Leitungen. „Das ist der Wartungsgang. Hier wird regelmäßig überprüft, ob alles trocken und dicht ist. Und ganz ehrlich, ich hoffe, ich bekomme nie die Meldung, dass hier etwas nicht stimmt“, sagt Kett. Seine Stimme hallt in dem schmalen Tunnel. Beklemmend, hier unten. Zu wissen, dass sich da zig Kubikmeter Wasser über dem Kopf befinden, macht es nicht besser.

Sechs bis acht Stunden
Wieder an der frischen Luft angekommen, zeigt sich das Abwasser von einer ganz anderen Seite. Was als trübe Suppe beginnt, ähnelt nun einem klaren, ruhigen See. Es sind die beiden großen, runden Nachklärbecken, die jeweils rund 7.500 Kubikmeter Wasser fassen. In der Mitte fast sieben Meter tief, werden sie nach außen hin flacher. Hier darf das Wasser Karussell fahren: Der Königsstuhl, das Beton-Bauwerk in der Mitte, leitet das Belebtschlamm-Wasser-Gemisch ins Becken, wo es von einem Rundräumer langsam im Kreis bewegt wird. So kann sich der Belebtschlamm in der Mitte des Trichters absetzen und wird durch eine Pumpe zurück ins Belebungsbecken befördert, das gereinigte Wasser läuft aus dem Becken ab.
Wenn das Wasser das Klärwerk am Ende verlässt, hat es dort rund sechs bis acht Stunden in der Reinigung verbracht. 95 Prozent der Kohlenstoffverbindungen sind nun entfernt, genauso wie 78 bis 80 Prozent des Stickstoffes, und beim Phosphat verbleiben nur rund zwei Prozent, wenn das Wasser wieder der Jagst zugeführt wird. Die vorgegebenen Messwerte werden sieben Mal die Woche kontrolliert – in einem eigenen Labor wird das Wasser täglich beprobt, auch an Feiertagen und am Wochenende. „Vorgeschrieben sind drei Proben pro Woche, aber wir gehen auf Nummer sicher. Zudem kommt sechs Mal im Jahr ein Probenehmer vom Landratsamt als untere Wasserbehörde, der unser Wasser dann in einem externen Labor prüft – eine Art Kontrollfunktion“, erläutert Kett.

Jeden Tag werden im Klärwerk Proben genommen. Auch der Klärschlamm wird regelmäßig untersucht.

Der Weg des Schlammes
Neben dem Wasser geht auch der Schlamm aus der Vorklärung und dem Belebungsbecken im Klärwerk seinen eigenen Weg. Er landet in den drei Faultürmen, der größte von ihnen ist 23 Meter hoch und fasst 2.500 Kubikmeter Schlamm, dort vergärt der Klärschlamm dann bei etwa 38 Grad Celsius. „Im Jahr kommen rund 40.000 Kubikmeter flüssiger Schlamm zusammen, das macht nach dem Entwässern am Ende etwa 7.000 Tonnen, die wir entsorgen müssen“, sagt Kett. Das Klärgas, das bei der Faulung entsteht, wird im Blockheizkraftwerk zur Produktion von Strom und Wärme genutzt. „Irgendwann wollen wir dadurch auch unsere eigene Notstromerzeugung generieren“, sagt Kett. Im Sommer reiche das Blockheizkraftwerk völlig aus, ansonsten gibt es noch eine Gasheizung und einen Heizöltank.

Zurück in die Jagst
Vogelgezwitscher. Die Natur hier draußen wird kaum gestört durch die Geräusche der Stadt. Ein paar Brennnessel zur Seite geschoben, schon geht es ein paar Schritte einen steilen Abhang hinunter. Und da ist es: Ruhig plätschert das saubere Wasser durch ein Rohr in die Jagst, als wäre nie etwas gewesen.
 

(Erstellt am 30. Juni 2023)