Straßenbenennung
Aufklären oder Tilgen?
Im Juni vergangenen Jahres hatte GRÜNEN-Stadtrat Christian Hellenschmidt angeregt, die Namensgeber von Straßen im Crailsheimer Stadtgebiet auf einen möglicherweise nationalsozialistischen Hintergrund zu prüfen. Stadtarchivar Folker Förtsch hat nun im Bau- und Sozialausschuss eine Übersicht der betroffenen Namen präsentiert – die Entscheidung über den richtigen Umgang damit fiel dem Gremium dennoch nicht leicht.
Um einen sensiblen Umgang mit der Thematik bat Stadtarchivar Folker Förtsch, als er im jüngsten Bau- und Sozialausschuss eine Liste derjenigen Namen vorstellte, die zugleich Straßenbenennungen in Crailsheim sind und über die im Rahmen seiner Prüfung auf einen möglichen nationalsozialistischen Hintergrund kritisch diskutiert wurde. „Die Benennung einer Straße nach einer Person ist Ausdruck besonderer Leistungen oder Verdienste. Es stellt sich die Frage: Kann eine Person mit nationalsozialistischem Hintergrund eine solche Ehrung erfahren?“
Und genau diese Frage stellte Förtsch dann auch. Er machte damit deutlich, dass sich die Diskussionen im Gremium zwar um eine grundsätzliche Haltung drehen, diese wiederum aber gar nicht so einfach zu entscheiden ist. „Es ist eine Frage der Gewichtung. Natürlich waren diese Persönlichkeiten teilweise auch prägend für die Stadtgeschichte nach 1945 und haben sich entsprechende Verdienste erworben“, sagte Förtsch.
18 Straßennamen
Der Stadtarchivar hat für die Beratung im Gemeinderat drei Listen betroffener Straßennamen erstellt: Zum einen elf Personen, die in Crailsheim aktiv und zugleich auch Mitglieder der NSDAP waren, zum anderen fünf weitere Personen auf nationaler Ebene, die die NS-Herrschaft gestützt haben. Als weitere, dritte Gruppe führte er zwei Personen aus Crailsheim an, die sich bereits im Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit antisemitisch geäußert haben. Insgesamt sind in Crailsheim also 18 Straßennamen betroffen – „wobei ich auch betonen möchte, dass es sich bei den Crailsheimern nicht um NS-Größen oder Kriegsverbrecher handelt, sondern meist eine formale Belastung rein durch die Mitgliedschaft in der NSDAP besteht. Wir müssen uns fragen, ob das ausreicht für eine Umbenennung oder ob hier erst ein nachgewiesenes, NS-konformes Handeln oder die Schädigung anderer Personen herangezogen werden sollte“, so Förtsch. Zumal es ihm zufolge für fast jede Person auch entlastende Aspekte gebe und man sich zudem für eine Beurteilung der Personen ein Leben zur damaligen Zeit, also unter der Diktatur, vorstellen müsse. „Es gibt drei Möglichkeiten: Nichts tun, pauschal alle für unwürdig erklären und umbenennen oder das Ganze öffentlich thematisieren und mittels eines kritischen Umgangs darüber aufklären“, sagte Förtsch.
Er selbst und auch der Verwaltungsvorschlag ziele auf letzteres ab: Die Thematik öffentlich angehen, möglicherweise zusätzliche Infos an den Straßenschildern anbringen, öffentliche Vorträge halten, Publikationen erstellen. Der Gemeinderat beauftragte die Verwaltung, ein Konzept auszuarbeiten, bei dem die fraglichen Straßennamen kritisch kommentiert werden. „Es soll also eine Gesamtbewertung der Lebensleistung sein, wofür ich möglichst umfassend alle zur Verfügung stehenden Quellen nutzen werde. Daher braucht das auch ein bisschen Zeit“, so Förtsch.
Konsequenzen bedenken
„Das ist kein einfaches Thema, aber wir würden da mit der Empfehlung der Verwaltung gehen“, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Dennis Arendt. Es sei aber auch die Frage, was sich die betroffenen Bürgerinnen und Bürger wünschten. „Wir sind für die Erstellung eines solchen Konzeptes, mit dessen Hilfe wir einen kritischen Umgang mit den Straßennamen üben können. Wenn aber Anregungen aus der Bürgerschaft kommen, sollten wir noch einmal diskutieren“, so Arendt. Sozial- & Baubürgermeister Jörg Steuler pflichtete ihm bei: „Wir haben es uns intern auch nicht einfach gemacht, deswegen verstehe ich, dass Beschlüsse hierzu schwierig sind. Immerhin hat eine Umbenennung ja auch weitreichende Konsequenzen für die Bürger, die in den betroffenen Straßen wohnen.“
„Erhebliche Konsequenzen hatten hauptsächlich die Opfer dieser Zeit zu tragen, und ich finde es verheerend, dass diesen Menschen Straßennamen zuteilwurden. Ich persönlich würde sie tilgen, aber ich spreche für die Fraktion und da ist die Mehrheit ebenfalls für ein Konzept zum kritischen Umgang damit“, sagte AWV-Fraktionsvorsitzender Sebastian Klunker. „Für mich ist das eine Einzelfallentscheidung. Eine pauschale kritische Einordnung finde ich nicht ausreichend. Es geht ja hierbei nicht um Bestrafung, sondern darum, dass die Personen aktuell geehrt werden. Und da braucht es eine differenzierte Betrachtung“, sagte GRÜNEN-Fraktionsvorsitzender Sebastian Karg und stellte einen möglichen Vertagungsantrag in den Raum. Jan Zucker, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, sprach sich für eine sensible Diskussion aus. „Diese Leute hatten alle ihre Verdienste, aber eben auch eine Art Mitschuld. Mit einer Beurteilung tue ich mich da wirklich hart, würde aber mit dem Verwaltungsvorschlag gehen“, sagte Zucker. Und auch der Jugendgemeinderat meldete sich zu Wort: „Es muss etwas getan werden und die kritische Aufklärung finde ich gut“, sagte die Vorsitzende Klara Klunker. CDU-Stadtrat Uwe Berger stellte die Frage, wie eine vernünftige Aufklärung in diesem Fall aussehen könnte. „Eine kurze Kommentierung am Straßenschild wird dem nicht gerecht, finde ich. Überhaupt ist es schwierig, die Personen mit heutigen Maßstäben zu messen. Wir müssen aufpassen, dass wir die Persönlichkeiten nicht auf ihre NSDAP-Mitgliedschaft verkürzen“, so Berger.
Konzept bis Ende 2023
Keineswegs wolle er das, meinte Förtsch, und sah die Einwände der Stadträtinnen und Stadträte durchweg als begründet an. „Wichtiger als eine Infotafel am Straßenschild finde ich, dass entsprechende Biografien und Infos auf der städtischen Homepage zu finden sind, dass es entsprechende öffentliche Vorträge gibt, dass wir Publikationen dazu erstellen. Und falls es Äußerungen der Menschen in den betroffenen Straßen gibt, fände ich auch eine erneute Diskussion gut. Eine Einzelfallprüfung für alle betroffenen Straßen beziehungsweise Namen ist sehr aufwendig, aber grundsätzlich der richtige Weg – deshalb wäre ein umfassend ausgearbeitetes Konzept wohl am besten“, so Förtsch. Die GRÜNEN-Fraktion plädierte zunächst für eine Vertagung, um bis zur übernächsten Sitzungsrunde weitere Details und ergänzende Informationen zu den einzelnen Namen zu erfahren – sowohl bezüglich der Verdienste als auch der NS-Zeit. „Das wäre aber eine Kurzform und keine fundierte Einschätzung der Personen, dafür reicht die Zeit nicht“, informierte Förtsch und Sebastian Klunker (AWV) ergänzte: „Der Antrag der Verwaltung, ein Konzept zu erstellen, beinhaltet ja ein ausführliches Für und Wider der einzelnen Personen, da müssen wir doch keinen unnötigen Zeitdruck aufbauen.“
Letztlich wurde sich im Ausschuss wie auch abschließend im Gemeinderat mehrheitlich darauf geeinigt, dass bis Ende 2023 ein ausführliches Konzept als Basis für eine kritische Kommentierung der Straßennamen ausgearbeitet werden solle.