Elternmentorenprogramm

Vermittler, Dolmetscher, Zuhörer

Gruppenfoto der Elternmentorinnen und -mentoren
13 Interkulturelle Elternmentorinnen und -mentoren setzen sich künftig als Vermittler zwischen Bildungseinrichtung, Kinder und Eltern für die Belange zugewanderter Familien ein (von links): Olga Brandt, Christoph Salinger (Sachgebietsleiter Zuwanderung & Integration), Ursula Bruner, Thomas Kottysch, Christine Kader-Jobstman, Andrea Bullinger, Monika Schulz, Anatolie Leiser, Magdalena Dratwa und Hamid Naasan. Nicht anwesend waren Olena Grünbacher, Sabine Hezel, Nahida Rashid und Christina Kesidou.

Um Missverständnissen zwischen Lehrern, Schülern und Eltern vorzubeugen, nimmt die Stadt Crailsheim an einem Pilotprojekt mit sogenannten Interkulturellen Elternmentorinnen und -mentoren teil. Die Ehrenamtlichen haben sich in einem Online-Kurs dafür qualifiziert und fungieren ab dem Schuljahr 2022/23 als Bindeglied, um bei sprachlichen und kulturellen Problemen von zugewanderten Familien im Bildungsbereich zu helfen.

Als sie im Alter von 15 Jahren nach Deutschland kommt, hat Olga Brandt Probleme. Als Jugendliche trifft die gebürtige Russin auf eine Sprache, die sie nicht versteht; genauso wenig versteht sie die zugehörige Kultur und Lebensweise der Deutschen und am allerwenigsten das Schulsystem, in dem sie sich nun zurechtfinden muss. Startschwierigkeiten, wie sie es heute rückblickend nennt. Sie blickt in die Runde der Anwesenden im Ratssaal und lächelt. „Ich hatte Glück. Meine Eltern und ich haben uns relativ schnell eingelebt, und ich habe eine gute schulische Bildung genießen können. Aber ich kenne viele Familien, bei denen es nicht so läuft“, sagt sie.
Denn wo Sprache eigentlich Kommunikationsmittel sein sollte, kann sie ebenso auch Ausgrenzung und Einsamkeit bedeuten. Zum Beispiel dann, wenn Eltern mit ihren Kindern nach Deutschland kommen und auf einen Schlag zig Dinge regeln müssen, die sie nicht einmal richtig verstehen. „Ich kenne das, wenn den Eltern erst einmal alles zu viel ist. Die Kinder bleiben da leider manchmal auf der Strecke, obwohl sie selbst Hilfe bräuchten“, sagt Olga Brandt. Um hier einzugreifen und dem entgegenzuwirken, hat die gemeinnützige Elternstiftung Baden-Württemberg das Programm der Interkulturellen Elternmentorinnen und -mentoren entwickelt, das ab dem kommenden Schuljahr auch in Kooperation mit der Stadt Crailsheim angeboten wird.

Für mehr Verständnis
Und genau das ist der Grund für das Treffen im Crailsheimer Ratssaal. Die ehrenamtlichen Teilnehmenden des Programms, mit Olga Brandt elf an der Zahl, lassen die erfolgreich absolvierte Online-Qualifizierung zur Elternmentorin bzw. zum Elternmentor Revue passieren, stellen sich selbst kurz vor und erhalten ihre offiziellen Zertifikate. Eine Geste, hinter der jedoch noch so viel mehr steckt als nur ein Stück Papier: „Sie können mit Ihren Fähigkeiten nun dazu beitragen, Missverständnissen entgegenzuwirken und zwischen Eltern, Lehrern, Erziehern und Kindern vermitteln. Denn einen Wunsch haben doch alle Eltern, egal aus welcher Kultur: Ihre Kinder sollen vorankommen und ein gutes Leben haben“, sagt Kamilla Schubart, Integrationsbeauftragte bei der Stadtverwaltung und Projektleiterin des Elternmentorenprogramms, in ihrer Begrüßung.

Sprache und Kultur vermitteln
Vermittler, Dolmetscher, Zuhörer: Für viele zugewanderte Familien werden die Ehrenamtlichen genau das sein. Hierfür haben sie sich in einem insgesamt 24-stündigen Online-Seminar qualifiziert, haben Grundlagen der Gesprächsführung, ethische Aspekte, richtiges Dolmetschen und vieles über das deutsche Schulsystem gelernt. „So können sie künftig bei Eltern-Lehrer-Gesprächen dabei sein und helfen, wenn es Verständigungsprobleme gibt“, so Schubart. Denkbar sei außerdem, dass die Elternmentorinnen und -mentoren Infoveranstaltungen für bestimmte Zielgruppen oder Themen organisieren, Beratungsstunden für zugewanderte Eltern anbieten, sich an kulturellen Festen in den Bildungseinrichtungen beteiligen oder Infomappen über das deutsche Schulsystem in einer anderen Sprache erstellen.

Eigene Erfahrungen
Für die Eltern sind diese Gespräche und Angebote kostenlos und vertraulich, die Ehrenamtlichen erhalten dafür eine Aufwandsentschädigung – doch als sich die Teilnehmenden beim Treffen im Ratssaal nacheinander kurz vorstellen, wird schnell klar, dass es hier niemandem um Geld geht. „Ich habe seit der Ukrainekrise viele geflüchtete Familien unterstützt, hatte aber immer diese sprachlichen Barrieren. Deswegen habe ich mich als Elternmentorin angemeldet: Um noch besser helfen zu können“, sagt Andrea Bullinger aus Crailsheim, die derzeit noch an ihren Englischkenntnissen arbeitet. Auch Thomas Kottysch nennt seine Motivation, hier ehrenamtlich tätig zu werden: „Ich möchte helfen, dass wir alle besser miteinander zurechtkommen“, sagt der gebürtige Pole aus Jagstheim. Eigene Erfahrungen mit Zuwanderung und Integration stehen bei fast allen Elternmentorinnen und -mentoren im Mittelpunkt ihres Wunsches, anderen zu helfen. Zu den elf zertifizierten Ehrenamtlichen kommen noch zwei weitere Helfer, die zwar nicht vollständig an der Schulung teilgenommen haben, jedoch sehr aktiv in der Flüchtlingsarbeit sind: Ursula Bruner und Hamid Naasan. Gemeinsam mit ihnen können die Mentorinnen und Mentoren den zugewanderten Familien nun auf Russisch, Ukrainisch, Englisch, Polnisch, Rumänisch, Arabisch und Türkisch unter die Arme greifen.

Ehrenamtlich und vertraulich
„Laut der Elternstiftung Baden-Württemberg sind Interkulturelle Elternmentorinnen und -mentoren ehrenamtliche und vertrauliche Ansprechpartner, die sich in ihrer Kommune für eine stabile, partnerschaftliche Zusammenarbeit von Eltern und Bildungseinrichtungen einsetzen. Herzlichen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit nehmen und sich engagieren“, bedankt sich Christoph Salinger, Sachgebietsleiter Zuwanderung & Integration, in seinem Grußwort stellvertretend für Sozial- & Baubürgermeister Jörg Steuler. Das Ganze sei ein Pilotprojekt in Crailsheim, auf dessen Resonanz er sehr gespannt sei. „Bitte lassen Sie sich nicht gleich entmutigen, wenn Hürden oder Kritik auftauchen. Dies bringt ein neues Projekt mit sich“, so Salinger.

(Erstellt am 02. August 2022)